Gemeinsame Stellungnahme zur Verwendung von Cloud-Software in Schulen
Baden-Württembergs Kultusministerium plant die Bereitstellung der Cloud-Software MS 365 (früher „MS Office 365“) für die Nutzung an Schulen. Dieses Vorhaben ist aus zahlreichen Gründen, nicht zuletzt aufgrund ungelöster Datenschutzprobleme, stark umstritten. Die unterzeichnenden Organisationen wenden sich deshalb gegen dieses Vorhaben und appellieren an die Landesregierung, stattdessen auf die Nutzung und den weiteren Ausbau vorhandener und in zahlreichen Belangen vorteilhafterer Open-Source-Lösungen für den digitalen Unterricht der Schulen zu setzen.
1. Digitale Souveränität
Baden-Württemberg muss im Sinne der Daseinsvorsorge und der digitalen Souveränität in systemrelevanten Bereichen auf zukunftsfähige und dauerhaft verfügbare Netzwerk-, Software- und Cloud-Lösungen setzen, gerade auch im Bildungsbereich. Ein Bundesland darf sich nicht von einem Cloud-Angebot wie MS 365 abhängig machen, über das es nicht mit voller Souveränität selbst, sicher und dauerhaft verfügt, weil es jederzeit vom Anbieter oder auf Anweisung der Regierung des Landes des Firmensitzes in der Nutzung eingeschränkt oder gar abgeschaltet werden kann.
Im Koalitionsvertrag der beiden baden-württembergischen Regierungsparteien ist deshalb eine Open-Source-Strategie vereinbart worden. Diese muss beim Aufbau der Bildungscloud berücksichtigt werden. Auch auf Bundesebene und auf europäischer Ebene ist die Notwendigkeit einer Open-Source-Strategie längst erkannt.
2. Vorhandene Lösungen nutzen und stärken
Für die Schulen gibt es in Baden-Württemberg seit langem quell-offene datenschutzkonforme Softwarelösungen: Mit Moodle (Lernplattform), BigBlueButton (Videokonferenzsystem), LibreOffice (Bürosoftware), Thunderbird (Mailprogramm) und Nextcloud (Dateiablage und Kooperation) stehen allen Schulen Anwendungen zur Verfügung, die den Funktionsumfang von MS 365 abdecken oder übertreffen. Bereits jetzt bewältigen viele Schulen den digitalen Unterricht damit sehr gut. Deshalb kann auf die Nutzung der umstrittenen Cloud-Software MS 365 an Schulen schon allein aus rein funktionalen Gesichtspunkten gut verzichtet werden.
3. Datenschutz
Die Datenschutzkonformität einer Bildungsplattform ist von zentraler Bedeutung, weil auf ihr sehr sensible Daten der Schülerinnen und Schüler gespeichert und verarbeitet werden. Es ist auch durch die restriktivste Benutzerordnung nicht zu verhindern, dass z.B. Eltern den Lehrkräften auf digitalem Wege über Krankheitsverläufe oder Verhaltensprobleme der Kinder berichten. Der Quellcode von MS 365 ist geheim, sodass seine Datenschutzkonformität nicht überprüft werden kann. Laut der Nutzungsbedingungen werden von MS 365 zudem ständig zahlreiche sogenannte Telemetrie- und Diagnosedaten auf die Server der Firma Microsoft übertragen.
Die datenschutzrechtlichen Probleme rund um den US-Cloud Act, dem die Firma Microsoft in ihrem Heimatland unterliegt, und den gescheiterten EU-US Privacy Shield sind hinlänglich bekannt: Selbst wenn die Microsoft-Server (wie in diesem Fall beabsichtigt) in Deutschland stehen, muss Microsoft Daten an Behörden in die USA übertragen, wenn dies von dort angeordnet wird. Selbst wenn Microsoft (wie kürzlich rechtlich wertlos zugesichert) gegen solche behördlichen Anfragen auf dem Gerichtsweg vorgehen würde, wäre der Ausgang ungewiss. Auch der LfDI (Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit) Baden-Württembergs hat weiterhin erhebliche Zweifel an der aktuellen und nachhaltigen Datenschutzkonformität von MS 365.
4. Schulfrieden
Wenn eine wegen des Datenschutzes oder aus anderen Gründen umstrittene Software an den Schulen eingesetzt werden soll, führt das unvermeidlich zu Konflikten in der Schulgemeinschaft. So ist damit zu rechnen, dass sich flächendeckend einzelne Schüler/innen, Eltern und Lehrkräfte gegen die Nutzung solcher Software wehren. Das könnte durch Anträge auf Datenschutzauskunft, Widersprüche gegen die Datenverarbeitung oder beamtenrechtliche Remonstration geschehen. Diese absehbare schwere Belastung des Schulfriedens sollte von vornherein vermieden werden, indem zweifelsfrei datenschutzkonforme Software eingesetzt wird.
Aufgrund der Abhängigkeitsbeziehungen (Schüler/innen – Lehrer/innen, Lehrer/innen – Schulleitungen, Schulleitungen – Schulaufsichtsbehörden) ist der Hemmschwelle bei der Geltendmachung der eigenen Rechte im schulischen Umfeld besondere Beachtung zu schenken. Schulen dürfen insbesondere Schülerinnen und Schüler nicht in eine Situation bringen, in der diese ihre Grundrechte gegen Lehrkräfte oder Schulleitungen erst durchsetzen müssen, von denen sie aber beispielsweise durch Notengebung stark abhängig sind. Es ist die Pflicht der Schule, die Rechte ihrer Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrkräfte, aktiv zu schützen. Schulleitungen, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler werden durch die Einführung von rechtlich und/oder ethisch umstrittenen Lösungen in eine höchst kritische Lage gebracht.
5. Datenschutzrechtliche Verantwortung bei den Schulen
Die aktuelle Kommunikation des Kultusministeriums vermittelt den Eindruck, man wolle die Schulen von Auswahl und Administration geeigneter Dienste entlasten. Rechtlich stellt sich die Situation allerdings vollkommen anders dar: Die datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle ist und bleibt die einzelne Schule, die sich für den Einsatz eines sogenannten Dienstes entscheidet. Für Rechtsunsicherheiten steht also nicht das Kultusministerium gerade, sondern die jeweilige Schulleitung vor Ort. Diese datenschutzrechtliche Verantwortung können Schulleitungen bei MS 365 wegen fehlender Fachkenntnisse und Analysemöglichkeiten de facto nicht übernehmen.
6. Medien- und Verbraucherbildung: Erziehung zur Mündigkeit
Medien- und Verbraucherkompetenzen sind in unserer durch Digitalisierung geprägten Gesellschaft zentral. Aufgabe der Medien- und der Verbraucherbildung ist daher, Schülerinnen und Schüler in einer sinnvollen, reflektierten und verantwortungsbewussten Nutzung der Medien sowie einer überlegten Auswahl aus der Medienvielfalt in Schule und Alltag zu stärken sowie zu befähigen, als kritische und mündige Verbraucherinnen und Verbraucher reflektiert Konsumentscheidungen zu treffen (vgl. Bildungsplan 2016). Für sein Gelingen hat der Erwerb dieser Kompetenzen frei von wirtschaftlichen Interessen und unternehmensunabhängig zu erfolgen (vgl. KMK 2013). Mediale Grundlage zur Erfüllung dieser Aufgabe ist, dass an den Schulen verstärkt freie Lern- und Lehrmaterialien (Open Educational Resources und Freie Software) sowie ein herstellerunabhängiges Software-Ökosystem mit freien Dateiformaten genutzt werden (vgl. Koalitionsvertrag 2016 – 2021).
Die Einführung von MS 365 im Rahmen der Bildungsplattform würde bei einer Nutzung durch Schülerinnen und Schüler zu einer frühen Prägung auf eine proprietäre Software führen. Dies würde sowohl dem Ziel einer bevorzugten Nutzung freier Lern- und Lehrmaterialien als auch dem Ziel einer auf die Erziehung zur Mündigkeit ausgerichteten Medien- und Verbraucherbildung widersprechen.
7. Ökonomie
Wer in Baden-Württemberg Arbeitsplätze und Know-How sichern will, sollte vorrangig heimische Unternehmen einbinden und deren Produkte bei der Bildungsplattform einsetzen.
13. Januar 2021